Freistellermotiv aus dem aktuellen Jahresbericht 2022/23

Raum für Eigeninitiative

Vorbild Deutsche SchülerAkademie: Seit fast 20 Jahren organisieren ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer im niedersächsischen Papenburg Jahr für Jahr auf eigene Faust Sommerakademien für motivierte Schülerinnen und Schüler. Das Geheimnis: ein großes Netzwerk an ehemaligen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, ein traumhaft schöner Akademiestandort – und ganz viel Herzblut für die gute Sache. Eine Erkundung vor Ort.

Herzlich willkommen in Obenende! Behutsam lenkt Lisa Löbling ihr Auto über eine kleine hölzerne Brücke. Im gemächlichen Tempo geht es vorbei an sattgrünen Wiesen und leuchtend roten Backsteingebäuden, wie sie typisch sind für das Emsland. Hier, 20 Kilometer von der deutsch-niederländischen Grenze entfernt, liegt Papenburg mit seinen beiden Ortsteilen
Obenende und Untenende. Von manchen wegen seiner zahlreichen Kanäle das „Venedig des Nordens“ genannt, ist die Stadt vor allem wegen der Meyer-Werft bekannt. Über 3.400 Beschäftigte bauen beim größten Arbeitgeber der Region riesige Kreuzfahrtschiffe.

Aber das ist nicht alles: Im Ortsteil Obenende befindet sich auch die Historisch-Ökologische Bildungsstätte. Als sogenannte „Heimvolkshochschule“ des Landes Niedersachsen bietet die „HÖB“, wie sie vor Ort fast liebevoll genannt wird, ein vielfältiges Seminarprogramm für Jugend- und Erwachsenenbildung. In diesem Haus – das gesamte Gelände umfasst 50.000 Quadratmeter, inklusive eines kleinen Sees, großzügigen Gartenanlagen und einem Dutzend Seminarräumen – finden seit vielen Jahren die Schülerakademien des Vereins „Jugendbildung in Gesellschaft und Wissenschaft“ (JGW) statt. Jahr für Jahr kommen hier in mehreren Akademien fast 300 Schülerinnen und Schüler der Oberstufe zusammen, um zwölf Tage miteinander zu verbringen, sich in verschiedenen Kursen mit wissenschaftlichen Themen auseinanderzusetzen und die Akademie durch selbst eingebrachte Workshops und Freizeitangebote mitzugestalten.

„Für viele ist die Akademie ein Safe Space“

Auch Lisa Löbling ist nicht zum ersten Mal hier. Die 30-jährige promovierte Astrophysikerin war 2011 zum ersten Mal bei einer JGW-Akademie in der HÖB dabei – damals noch als Teilnehmerin. Zwölf Jahre später ist sie nun zurückgekehrt und hat mit ihren Kolleginnen Nina Kahsnitz (26) und Klara Höffer (25) die Leitung der diesjährigen Akademie übernommen – genauer gesagt der „JGW-Akademie Papenburg 2023-2“, denn es gibt pro Jahr drei Akademien, davon eine mit Schwerpunkt auf dem Thema Klimawandel. Die Akademieleitung ist eine anspruchsvolle Aufgabe, tragen Löbling und ihre Kolleginnen doch die Verantwortung für über 90 wissbegierige Heranwachsende sowie ein Team aus rund einem Dutzend Kursleitenden. „Unser Ziel ist nicht primär Wissensvermittlung, sondern Persönlichkeitsbildung“, stellt Klara Höffer, Medizinstudentin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, klar. Die Jugendlichen sollen sich ausprobieren, auch mal an ihre Grenzen stoßen. „Für viele hier ist die Akademie ein Safe Space, in dem sie zum ersten Mal in eine andere Rolle schlüpfen können.“ Nicht selten ist neben dem organisatorischen Geschick der drei jungen Frauen auch ihr Talent als Zuhörerinnen, Lebensberaterinnen und Seelentrösterinnen gefragt. Alle drei wissen von Teilnehmenden zu berichten, die sich in Liebesfragen vertrauensvoll an sie gewandt haben oder während der Akademie den Mut zum Outing hatten.

Das Leitungsteam um Lisa Löbling, Nina Kahsnitz und Klara Höffer
Lisa Löbling, Nina Kahsnitz und Klara Höffer leiteten eine von insgesamt drei JGW-Akademien, die 2023 in Papenburg stattfanden.

Auch die berufliche Orientierung nimmt einen wichtigen Stellenwert im Akademieablauf ein. Gerade plant die Gruppe den „Zukunftsabend“, bei dem sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über Studien- und Ausbildungsberufe, aber auch Studienfinanzierung und Stipendienmöglichkeiten, informieren können – ein Programmpunkt, der von der Deutschen SchülerAkademie (DSA) übernommen wurde. Überhaupt lehnen sich die JGW-Akademien in Ablauf und Terminologie eng an das pädagogische Konzept der DSA an. Das hängt auch mit der Geschichte des Vereins zusammen, der im Jahr 2004 von ehemaligen DSA-Teilnehmenden aus der Taufe gehoben wurde. Beflügelt durch ihre Erlebnisse gründeten sie den JGW mit dem Ziel, weitere Akademien nach dem Konzept der Deutschen SchülerAkademie auszurichten. Da die jährlich von Bildung & Begabung bereitgestellten Plätze nicht für alle zur Teilnahme vorgeschlagenen Jugendliche ausreichen, können durch die zusätzlichen Akademien noch mehr Jugendliche von dem Förderangebot profitieren.

Organisiert werden die Akademien von einemehrenamtlich arbeitenden Team aus Schülerinnen und Schülern, Studierenden und jungen Berufstätigen in Kooperation mit den von Bildung & Begabung. Die Finanzierung erfolgt über Teilnahmebeiträge und Sponsoren. Die Kurs- und Akademieleitenden sind meist Ehemalige der Akademien. Der Rest wird über den Freundes- und Kollegenkreis rekrutiert.

Der Gemeinschaft etwas zurückgeben

Was aber motivierte junge Menschen wie Lisa Löbling, Nina Kahsnitz und Klara Höffer, sich ehrenamtlich zu engagieren? „Ich möchte anderen die Möglichkeit schenken, ebenso tolle Erfahrungen zu machen, wie ich sie bei meiner Teilnahme sammeln durfte“, sagt Höffer. Nina Kahsnitz nickt zustimmend und Lisa Löbling ergänzt: „Durch das Ehrenamt kann man etwas zurückgeben.“ Rund zwei Stunden pro Woche stecken sie in ihre ehrenamtliche Tätigkeit. Dazu kommen Koordinierungs- und Vorbereitungstreffen, „Reisen durch die ganze Republik“, wie Höffer lachend erzählt.

Der JGW ist basisdemokratisch organisiert – wer sich einbringen möchte, muss nicht zwingend Mitglied sein, sondern kann sich für eine begrenzte Zeit in
einem der Organisationsteams engagieren, indem man beispielsweise bei der Pflege der Webseite oder bei der Gewinnung von neuen Kursleiterinnen und Kursleitern unterstützt. Nicht unwichtig in einer Zeit, in der junge Menschen deutlich mobiler sind und sich lieber projektbezogen engagieren. Gerade deshalb ist es für den Verein wichtig, motivierte Jugendliche schon während der Akademie zum Mitmachen zu bewegen. Dementsprechend steht am nächsten Morgen im Plenum ein kleiner Werbeblock an. Die komplette Akademie ist versammelt, die Augen einiger Jugendlicher noch ein wenig gerötet – die Nächte bei einer Schülerakademie sind traditionell eher kurz. Nach einigen organisatorischen Ansagen und der täglichen Nachrichten-Review, der „Papenschau“, stellen die Akademieleiterinnen denVerein vor und schließen mit einem Appell: „Wenn ihr Lust habt mitzumachen, meldet euch einfach bei uns!“

Beim Mittagessen ist Klara Höffer guter Dinge: Zwei Teilnehmende haben bereits ihre Bereitschaft erklärt, das JGW-Team zu verstärken. Erfahrungsgemäß werden es am Ende der Akademiesaison sieben, acht junge Menschen sein, die – begeistert von ihren persönlichen Akademieerlebnissen – in die Fußstapfen anderer Alumni treten werden. Und auch für alle
anderen geht die Reise weiter, denn wer teilgenommen hat, kann auch Mitglied im Club der Ehemaligen (CdE) werden und sich dort engagieren. Auch wenn der Name „Obenende“ etwas anderes verheißt: Die Geschichte der Schülerakademien – sie ist ganz sicher noch nicht zu Ende erzählt.

Alumni-Arbeit bei der Deutschen SchülerAkademie

Seit 1988 hat Bildung & Begabung über 25.000 begabte und motivierte Jugendliche mit der DSA gefördert. Mit dem CdE existiert ein rund 4.500 Mitglieder starker Alumni-Verein für Aktivitäten, Diskussionen, Bekanntschaften und mit vielen Möglichkeiten zum Austausch. Darüber hinaus bietet der JGW seit 2004 einen Rahmen, um eigenständig Projekte zu veranstalten – meist in Kooperation mit Bildung & Begabung.

Jugendbildung in Gesellschaft und Wissenschaft e.V.

"Die gemeinsamen Erfahrungen helfen, Freundschaften aufrecht zu erhalten"

Interview mit Eike Klages, Außenvorstand im Club der Ehemaligen (CdE)

Bildung & Begabung: Eike, was genau ist der Club der Ehemaligen?

Eike Klages: Wie der Name schon sagt, versammelt der CdE überwiegend ehemalige Teilnehmende der Deutschen SchülerAkademien und der Deutschen JuniorAkademien. Entstanden ist der CdE aus dem Wunsch, die Akademieerfahrungen wieder beziehungsweise weiter zu erleben. Der Fokus liegt daher auf Akademien, die wir selbst organisieren. Wir haben drei große und mehrere kleinere Akademien im Jahr, mit Kursen, kursübergreifenden Angeboten, Musik und so weiter. Für viele ist das eine Möglichkeit, miteinander in Kontakt zu bleiben, aber auch Ehemalige anderer Akademien kennenzulernen. Unsere Aktivitäten stehen auch Interessierten von außen offen. Wir sind also kein exklusiver Club. 

B&B: Was genau bedeutet „Akademieerlebnis“, auch vor dem Hintergrund deiner eigenen Erfahrungen?

EK: Die Akademien waren für mich immer ein Ort, an denen man mit Menschen in Kontakt kommt, mit denen man sich einfach und leicht austauschen kann. Man hat ähnliche Erfahrungen gemacht, hat ähnliche Interessen. Neben diesem sozialen Rahmen, den ich als sehr bereichernd empfinde, hat man durch die Kurse die Möglichkeit, sich mit Themen zu befassen, die jenseits des eigenen Tellerrandes liegen. Man findet eigentlich immer jemanden, mit der oder dem man sich über das noch so nischige Thema unterhalten kann.

B&B: Wenn man mit ehemaligen Teilnehmenden spricht, entsteht der Eindruck: Hier entstehen Freundschaften, die ein Leben lang halten. Ist das auch deine Erfahrung?

EK: Definitiv. Das Schöne ist: Durch die Akademien trifft man sich immer regelmäßig, selbst wenn die Mitglieder des Vereins über ganz Deutschland verteilt sind oder sogar im Ausland leben! Die gemeinsamen Erfahrungen helfen total, Freundschaften aufrecht zu erhalten.

B&B: Welche Formate gibt es noch innerhalb des CdE?

EK: Neben den Akademien gibt es Lokalgruppen in fast allen größeren deutschen Städten. Das sind häufig Unistädte, aber nicht ausschließlich. Daneben haben wir auch eine Vereinszeitschrift, die zweimal jährlich erscheint. Und natürlich unsere Mailingliste, über die man relativ unkompliziert miteinander in Kontakt bleiben kann.

B&B: Das klingt nach einem großen Angebot, aber auch viel Arbeit. Wie viele Menschen engagieren sich denn im CdE?

EK: In unserer Datenbank haben wir über 4.000 Kontakte. Die kommen natürlich nicht alle regelmäßig zu unseren Akademien. Aber es gibt einen Kern von 700 bis 1.000 Leuten, die man immer wieder bei verschiedenen Gelegenheiten trifft. Und zur Organisation unserer Veranstaltungen haben wir verschiedene Teams unterschiedlicher Größe, die sich aus sehr engagierten Vereinsmitgliedern zusammensetzen – erfahrene Ehrenamtliche, aber auch „Nachwuchskräfte“. Wir haben sogar mittlerweile recht viel „CdE-Kinder“, die mit zu den Akademien kommen. Der CdE ist also ein generationenübergreifendes Projekt!

B&B: Wie schafft man es denn, so viele Menschen über längere Zeit für ein Engagement zu begeistern?

EK: Neben den verbindenden Akademieerfahrungen ist es glaube ich ein Vorteil, dass man sich bei uns auf ganz unterschiedliche Weise engagieren kann. Man kann schauen: Was macht mir selbst Spaß, was möchte ich weitergeben? Ob ich in der Redaktion der Vereinszeitschrift mitmache oder einen Kurs organisiere – es gibt viele Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen. Uns ist wichtig: Wer sich engagiert, sollte auch mitgestalten können. Viele von uns haben das Bedürfnis, sich mit anderen über das auszutauschen, was sie gerade beschäftigt – und da findet man in unserem Verein eigentlich immer Gleichgesinnte.

B&B: Wie genau funktioniert die Kooperation mit Bildung & Begabung?

EK: Ich finde es spannend, wie eng wir zusammenarbeiten – sowohl auf administrativer als auch auf inhaltlicher Ebene. Wir haben uns beispielsweise in den letzten Jahren deutlich mehr mit dem Schutz unserer Teilnehmenden beschäftigt, vor allem den minderjährigen unter ihnen. Da war Bildung & Begabung für uns ein wichtiger Ansprechpartner. Dieser Austausch ist für uns sehr wertvoll, weil auch wir uns als Verein natürlich immer weiterentwickeln möchten.

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