„Wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen, bekommen wir das gut hin.“

Im Portrait / Jan Willert,
Lehrer an der CJD Christophorusschule Rostock
Jan Willert

Begabungsförderung ist eine Frage der Haltung. Denn es ist gut und richtig, allen Kindern Grundlagen beizubringen, damit sie sich später zurechtfinden. Was kann wichtiger sein als die Frage, wie ein Mensch aufwächst, worin er oder sie gut ist oder was er oder sie gerne macht? Wer schon in dieser frühen Lebensphase erspürt, was man ausprobieren kann, geht aus der Schule mit einer Vorstellung, wie das restliche Leben aussehen soll.

Es ist andersherum immer wieder schade, wenn ich Oberstufenkurse bekomme und dort junge Menschen sehe, die innerlich ein wenig hadern oder verzweifeln, weil sie überhaupt nicht wissen,
was sie jetzt machen sollen. Im Umkehrschluss bedeutet das für mich: Irgendetwas haben wir nicht gut genug gemacht. Welche Angebote haben wir auch in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Familien nicht gesetzt? Wir haben es dann offensichtlich verpasst, diesen Menschen zu zeigen, was man mit dem Leben anfangen kann, und ihnen damit letztlich Zeit geraubt. Mein Wunsch ist deswegen, dass die Kinder ihre Fähigkeiten erkennen und ich als Lehrer wiederum erkenne, welche Begabungen jeder und jede Einzelne hat, um dann das eine oder andere anzustoßen.

In diesem Zusammenhang habe ich eine mich bewegende Geschichte erlebt: Ich bin jemand, der sehr gerne liest und schreibt. Und diese Begeisterung für das Lesen und Schreiben trage ich auch in die Schule. Als ich hier anfing, wunderte ich mich, dass es an der Schule zum Schreiben keine besonderen Angebote gab. Daher rief ich den jungen Literaturwettbewerb „HOCHSTABLER“ ins Leben und baute ein Netzwerk auf, um die außerschulische Literatur, wie zum Beispiel Theaterbühnen, Buchläden oder Bibliotheken, in die Schule zu holen. Denn ich wollte den Schülerinnen die Möglichkeit geben, selbst zu schreiben und dazu von Menschen Rückmeldung zu bekommen, die in diesem Feld beruflich arbeiten. Die Resonanz war und ist enorm. Aus meiner letzten Abiturklasse bekam ich liebe und dankbare Rückmeldungen. Das Schönste für mich war, dass eine Schülerin mir schrieb, sie hätte eine Klassenarbeit der neunten Klasse, auf der ich am Rand so etwas schrieb wie „schreibe, bitte schreibe“, damals ihrem Vater gezeigt. Und ihr Vater heftete diese Klassenarbeit zu den Urkunden und Zeugnissen seiner Tochter, wo das Dokument bis heute ist. Sie war mir für diesen Impuls sehr dankbar, in ihr das Schreiben geweckt zu haben, was sie seitdem leidenschaftlich gerne macht. Das rührt mich immer noch.

Deswegen denke ich oft darüber nach, welche Haltung es braucht, damit mehr Jugendliche ihre Potenziale entwickeln können. Ich bin der Meinung: In erster Linie brauchen Kinder und Jugendliche Zeit und Raum, den wir Lehrkräfte ihnen geben müssen. Dafür wiederum brauchen wir Lehrerinnen und Lehrer den Mut, dass die Umsetzung des Rahmenlehrplans nicht die ganze Zeit unseres Unterrichts in Anspruch nimmt. Denn dann fehlt uns die Zeit für das Kreative, das Schöne, für das „Sich-Raum-Lassen“. Sonst verlieren wir den Mut, außer der Reihe an Wettbewerben oder Projekten teilzunehmen oder solche zu initiieren.

Und da wünsche ich mir von uns allen, dass wir uns gegenseitig deutlich kommunizieren – von ganz oben im Ministerium angefangen: Wir haben diese Räume und wollen diese geben, und alle, die in der Schule arbeiten, sollen mutig und zuversichtlich sein, trotzdem das im Lehrplan Geforderte leisten zu können. Das ist meiner Meinung nach ganz klar eine Frage der Haltung. Wenn wir den Schülerinnen und Schülern außerdem noch das Gefühl geben, man arbeitet an ihren Ideen, sind sie besonders erfolgreich. Mein Selbstverständnis ist jedenfalls, dass ich nicht die Wahrheit, das eine Richtige mitbringe, sondern ein Angebot mache, dem die jungen Menschen nachgehen: ausgehend von ihrem Impuls, ihrer Problemfrage oder dem, was sie interessiert. Sie brauchen dann von mir nur die Gewissheit, dass ich sie auf diesem Weg unterstütze und dass das, was am Ende rauskommt, dem entspricht, was für die Schule, das Unterrichtsgeschehen notwendig ist.

Klar ist auch: Damit das funktioniert, müssen die Schülerinnen und Schüler Anstrengungsbereitschaft mitbringen und Erfolgserlebnisse haben. Das gelingt umso besser, wenn sie der Überzeugung sind und spüren: Meine eigene Arbeit ist etwas wert. Das, was ich mache, verpufft nicht, läuft nicht ins Leere. Es endet nicht mit dem Klingelzeichen, sondern wird von irgendwem irgendwo gesehen. Sie brauchen das Gefühl: Was ich hier übe, bereitet mich darauf vor, in einem größeren Kontext oder später genau von dem zu zehren, was ich jetzt gerade als Kompetenz erwerbe.

Ich glaube: Wir Lehrerinnen und Lehrer sollten uns dessen immer bewusst sein – oder zumindest in Momenten, wo Schüler ins Zweifeln kommen und fragen: Warum ist das hier gerade so? Was
soll ich tun? Mein Anspruch ist, darauf immer antworten zu können. Schließlich geht es hier um die Sinnhaftigkeit, die ich auch von meinem eigenen Leben abfordere. Ich möchte mich auch lieber mit Dingen beschäftigen, die mir guttun oder ich selbst als wertvoll erachte, statt mich mit sinnfreien Stunden und Tagen plagen zu müssen. Es sind diese Überzeugungen und Werte, die die Anstrengungsbereitschaft und den Schulerfolg bei den Jugendlichen beeinflussen.

Dafür sind außerschulische Angebote wie die von Bildung & Begabung sinnvolle Ergänzungen, weil diese Angebote vieles von dem bereithalten, was ich mir vom Unterricht wünsche. Ich setze den Impuls, und der Bundeswettbewerb Fremdsprachen beispielsweise gibt den Schülerinnen und Schülern Freiheiten, wie sie diesem Impuls nachgehen. Am Ende muss ein Film, also ein bestimmtes Produkt erstellt sein. Aber wie dieses Produkt aussieht, welches Thema die Gruppe sich gibt, womit sie sich befasst, das steht ihr frei. Ich habe diesen Wettbewerb genau als das gesehen: als Chance, Schülerinnen mal eine Geschichte erzählen zu lassen, die sie für notwendig halten. Ich mische mich nicht ein, koordiniere, berate, strukturiere und organisiere nur, damit sich am Ende der Erfolg einstellt. Nicht jede unserer Gruppen, die sich an dem Wettbewerb beteiligt, kommt zu einem Ergebnis oder ist damit zufrieden. Das heißt aber auch: Das Produkt muss da sein. Ganz egal, ob es die Qualität hat, die man sich anfangs erträumt hat, oder nicht. Oberstes Ziel muss sein, dass am Ende das Produkt da ist. Verrückterweise haben wir den Wettbewerb 2021 im Distanzunterricht gewonnen. Danach habe ich die Klasse als Fachlehrer abgegeben. Ich wollte nach vier Jahren unsere letzten gemeinsamen Monate nicht damit verbringen, das Schulbuch zu bearbeiten. Wir wollten schauen, ob eine Teilnahme am Wettbewerb auch gelingt, wenn wir nicht hier in der Schule sind. Und siehe da: Es klappte. Sogar sehr gut. Das erfüllt mich, und ich merkte wieder, dass ich als Lehrer einen tollen Beruf habe.

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