Die Poesie in Nullen und Einsen

Interview / Zach Lieberman

Die Kunstwerke aus unserem diesjährigen Jahresbericht stammen von dem New Yorker Künstler Zach Lieberman, der aus Codezeilen bunte Bilder macht. Wie das funktioniert, warum Künstler auch immer Forscher sind und worin die Faszination der Verbindung zwischen analoger und digitaler Welt liegt, verrät Lieberman in diesem Interview.

 

 

 

Zach Lieberman

Bildung & Begabung: Zach, Ihre Kunst springt sofort ins Auge. Aber auf den ersten Blick ist nicht klar, was wir auf den Werken sehen – und vor allem, wie sie entstehen. Wie würden Sie selbst Ihre Arbeit beschreiben?

Zach Lieberman: Meine ganze künstlerische Praxis dreht sich um Computer. Ich nutze Programmiersprache und schreibe Programme, um damit Kunst zu machen. Ganz besonders interessieren mich Animationstechniken, die Frage, wie man Dinge durch Bewegung zum Leben erweckt. Ich experimentiere mit Farben und Formen und schaffe Design durch die Nutzung von Software.

B&B: Wann haben Sie Ihr Interesse am Programmieren entdeckt?

Lieberman: Ich habe Kunst studiert und verbrachte als Student viel Zeit in Ateliers für Druckgrafien – eine tolle Beschäftigung. Nach meinem Abschluss suchte ich dann Arbeit. Damals sprachen alle über Web Design – also suchte ich mir einen Job als Webgestalter. Auf diese Weise entdeckte ich ein Computerprogramm namens „Flash“, das eingesetzt wurde, um Online-Animationen zu erzeugen. Das faszinierte mich. Ich habe mich immer für Animation interessiert, hatte aber keine Ahnung davon, wie man das macht – und mit diesem Tool konnte ich auf einmal mit Bewegungen experimentieren. Aber nicht nur das: Ich lernte, dass man durch Code die Platzierung von Dingen im digitalen Raum verändern konnte. Man schreibt f(x) = x+1 und auf einmal bewegt sich ein Objekt über den Bildschirm. In dem Moment, in dem ich entdeckte, dass man durch Text, durch eine einzige Zeile Computercode etwas zum Leben erwecken konnte, war ich hellauf begeistert.

B&B: Und diese Vorgehensweise ist auch die Grundlage Ihrer Kunst?  

Lieberman: Ja. Viele meiner künstlerischen Experimente basieren auf Algorithmen. Es sind simple Gleichungen, mit denen man zum Beispiel Licht simulieren kann. Wenn beispielsweise das Licht einer Lampe auf einem Tisch reflektiert, dann entstehen ein heller und ein dunkler Fleck, und ein grauer Bereich dazwischen. Mit mathematischen Formeln kann man errechnen, wie hell die jeweiligen Pixel sein sollen. Man „malt“ also Bilder mit ganz simplen Mitteln. Ich liebe diese Technik, weil es eigentlich rein um Mathematik geht: Die mathematischen Gleichungen simulieren Licht- und Farbpunkte und setzen diese in Bewegung.

B&B: In einem anderen Interview sagten Sie den wunderbaren Satz „Künstler sind Forscher“. Was meinen Sie damit?

Lieberman: In den USA haben fast alle Unternehmen eine „R&D-Abteilung“, also eine Abteilung für Forschung und Entwicklung, in der neue Produkte und Dienstleistungen entwickelt werden. Künstler sind auch so eine Art „R&D-Abteilung“, aber für die Menschheit als Ganzes, weil sie verschiedene Möglichkeiten ausprobieren, wie die Zukunft aussehen könnte. Jemand, der in einem Labor arbeitet, setzt außerdem immer auch auf der Arbeit seiner Vorgängerinnen und Vorgänger auf. Künstlerinnen und Künstler führen in ähnlicher Weise ein Gespräch mit der Vergangenheit.

B&B: Das Unterrichten ist ebenfalls ein wichtiger Teil Ihrer künstlerischen Aktivität. Sie haben 2013 zum Beispiel die „School for Poetic Computation“ mitbegründet. Für viele Menschen ist der Zusammenhang zwischen Poesie und Computern sicher nicht offensichtlich. Was war für Sie die Idee hinter diesem Projekt?

Lieberman: Poesie ist eine Kunstform, bei der es darum geht, die richtigen Worte in die richtige Reihenfolge zu bringen, um auszudrücken, was es meint, ein Mensch zu sein. Beim Programmieren ist das ähnlich. Dort geht es ebenfalls darum, Text präzise und in einer bestimmten Reihenfolge widerzugeben, um Maschinen zu sagen, was sie tun sollen. Die Sprache ist also das verbindende Element. Man kann eine Technologie vorführen, um zu zeigen, was sie alles kann. Aber man kann sie auch in den Dienst der Kunst stellen. Indem wir unser Projekt „Poetic Computation“ genannt haben, haben wir letzteres getan und die Kunst damit über die Technologie gestellt.

B&B: Das Bildungssystem macht derzeit einen tiefgreifenden Wandel durch. Die Art und Weise, wie und was wir lernen, ändert sich rasant. Neue, zukunftsrelevante Kompetenzen, so genannte „Future Skills“ werden immer wichtiger – dazu zählt auch die Beherrschung von Programmiersprachen. Würden Sie sagen, dass in einer digitalisierten Welt wie der unsrigen jeder und jede Programmieren lernen sollte?

Lieberman: Ich denke, Programmieren zu können ist eine sehr nützliche Fähigkeit. Nicht jeder muss es beherrschen, aber es ist hilfreich zu wissen, dass es einen entsprechenden Werkzeugkasten gibt. Zum Beispiel: Eine meiner Lieblingsaktivitäten ist es, Künstlerinnen und Designer beizubringen, wie sie Programmieren und mit Software arbeiten können. Wir sollten mehr Menschen ermutigen, diese Technologien auf kreative Art und Weise auszuprobieren, und insgesamt interdisziplinärer denken.

B&B: In diesem Heft geht es um die zahlreichen Verbindungen, die die analoge Welt zunehmend mit der digitalen Welt eingeht. Worin liegen für Sie die Chancen in diesem Dialog zwischen den beiden Sphären? Was für neue Möglichkeiten entstehen dadurch?   

Lieberman: Darüber denke ich andauernd nach! Es gibt viele Momente, wo wir in beiden Welten gleichzeitig unterwegs sind. Für mich persönlich sind diejenigen Technologien interessant, bei denen analoge und reale Welt aufeinandertreffen und miteinander interagieren. Denken Sie beispielsweise an „Augmented Reality“. Es liegt etwas sehr Schönes darin, über die kreative Anwendung von Raum nachzudenken – auch auf spielerische Art und Weise. Ich habe einmal ein zwölfjähriges Mädchen dabei beobachtet, wie sie auf Snapchat Facefilter nutze. Dahinter verbirgt für mich eine tiefere Überlegung, nämlich wie wir die Grenzen unserer eigenen Wahrnehmung erkunden. Oder die Frage, ob uns ein Computer als Mensch wahrnimmt oder nicht, und wie wir damit spielen können. Im Zusammentreffen zwischen physischer und digitaler Welt liegt eine Vielzahl kreativer Möglichkeiten.

Mehr Kunst von Zach Lieberman gibt es auf dessen Instagram-Kanal: www.instagram.com/zach.lieberman/

Über Zach Lieberman / Der US-Amerikaner Zachary „Zach“ Lieberman stammt aus einer kunst- und bildungsinteressierten Familie. Nachdem er sich als Kunststudent zuerst mit verschiedenen Drucktechniken beschäftigt hatte, kam der heute 45-Jährige in den frühen Jahren des Internets in Berührung mit Programmiersprachen. Computercode und Algorithmen bilden die Basis seiner Werke, die sich durch abstrakte Formen und bunte Farben auszeichnen. Zach Lieberman, der auch auf eine langjährige Erfahrung als Unterrichtender zurückblicken kann, lebt und arbeitet in New York.

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